Merkzeichen G
Urteile
Psychisch erkrankte Personen, deren Leiden nicht mit „Anfällen“ gleichzusetzen sind und nicht zu Störungen der Orientierungsfähigkeit führen, sondern nur z.B. mit Verstimmungen, Antriebsminderung und Angstzuständen einhergehen, sind daher in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr nicht erheblich beeinträchtigt.
 
Zwischen den Beteiligten ist die Feststellung des Merkzeichens „erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr“ (G) streitig.
Die am 16.09.1969 geborene Klägerin hat eine Ausbildung als Erzieherin gemacht hat, in diesem Beruf jedoch nur einige Monate gearbeitet hat, sodann mit Zeiten der Arbeitslosigkeit mehrere verschiedene Tätigkeiten, häufig nur einige Monaten anhaltend, ausgeübt. So war die Klägerin bei der D. als Aushilfskraft, Codierkraft , in der Brieffrachtzustellung, als gemeindliche Vollzugsbeamtin, Angestellte im Call-Center, Agentin im Bereich Steuerrückführung, Kauffrauliche Angestellte im Bereich Mobilfunk, Koordinatorin, Telefonreferentin, Junior-Operatorin im technischen Kundendienst sowie verschiedenen Tätigkeiten auf geringfügiger Basis tätig. Erstmals mit Bescheid vom 11.06.2003 hat der Beklagte den Grad der Behinderung (GdB) seit 01.01.2002 wegen Taubheit links, Schwerhörigkeit rechts, Augenmuskellähmung links, funktionellen Organbeschwerden und Funktionsbehinderungen der Wirbelsäule und Wirbelsäulenverformung mit 30 festgestellt. Die Klägerin bezieht inzwischen eine Erwerbsminderungsrente (Leistungsfall 03.06.2002) und ergänzende Leistungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII).
Mit Änderungsantrag vom 02.11.2007 beantragte die Klägerin die Erhöhung des GdB wegen Verschlimmerung sowie die Feststellung des Merkzeichens G, des Nachteilsausgleichs wegen Gehörlosigkeit (Merkzeichen Gl) sowie des Nachteilsausgleichs „Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht“ (Merkzeichen RF). Der Beklagte zog unter anderem das Gutachten des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. K. vom 05.02.2004 von dem Rentenversicherungsträger (damals BfA) bei und holte Stellungnahmen bei der behandelnden Ärztin für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde Dr. M. und dem Facharzt für Orthopädie Dr. S. ein. Mit Bescheid vom 13.02.2008 wurde der Antrag auf Neufeststellung des GdB sowie Feststellung von gesundheitlichen Merkmalen (Merkzeichen) abgelehnt. Im Rahmen des hiergegen eingelegten Widerspruchsverfahrens legte die Klägerin ein ebenfalls für die Rentenversicherung erstelltes Gutachten von Dr. W., Facharzt für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, vom 29.01.2004 und ein Ton- sowie Sprachaudiogramm vom 07.04.2008 vor. Daraufhin wurde nach der versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. S. (Taubheit links, Schwerhörigkeit rechts Teil-GdB 60, Augenmuskellähmung links Teil-GdB 10, funktionelle Organbeschwerden, seelische Störung Teil-GdB 20, Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, Wirbelsäulenverformung Teil-GdB 10 und Sprechstörung Teil-GdB 10) mit Teil-Abhilfebescheid vom 15.04.2008 ein GdB in Höhe von 70 seit 29.10.2007 sowie das Merkzeichen RF festgestellt. Der Bitte der Klägerin um Übermittlung des Abhilfebescheides ohne Feststellung einer seelischen Störung wurde mit Abhilfebescheid vom 29.05.2008 entsprochen, woraufhin die Klägerin den Widerspruch für erledigt erklärte.
Mit Änderungsantrag vom 06.10.2011 beantragte die Klägerin erneut die Erhöhung des GdB wegen Verschlimmerung. Nachdem fälschlicherweise mit Schreiben des Beklagten vom 21.10.2011 der Klägerin mitgeteilt wurde, dass bei ihr bereits ein GdB von 100 festgestellt worden sei und sie um Mitteilung gebeten wurde, ob sie weitere Merkzeichen beantrage, beantragte sie am 24.10.2011 noch die Feststellung des Merkzeichens G und des Nachteilsausgleichs wegen „außergewöhnlicher Gehbehinderung“ (Merkzeichen aG). Die Klägerin legte ihren Anträgen ärztliche Unterlagen bei. So wurde unter anderem ein Attest von Dr. M., Facharzt für Chirurgie, vom 11.03.2005 (Behandlung wegen Wirbelsäulenbeschwerden und Schmerzen im linken Kniegelenk), ein Befundbericht von Dr. P, Facharzt für Lungen- und Bronchialheilkunde, vom 27.04.2011 (Diagnosen: Taubheit links, Schwerhörigkeit rechts, Verdacht auf allergisches Asthma bronchiale und hyperreagibles Bronchialsystem), ein ärztliches Attest von Dr. S., Facharzt für Chirurgie und Orthopädie, vom 17.05.2011 (Skoliose mit daraus resultierendem asymmetrischen Thorax und einem prominenten Rippenknorpel links parasternal), ein Entlassungsbericht der Klinik für Neurologie des D. M. vom 07.09.2011 über einen stationären Aufenthalt vom 26.08.2011 bis 07.09.2011 (chronisches Schmerzsyndrom) sowie ein Schreiben der Deutschen Rentenversicherung Bund vom 10.02.2011 mit der Bestätigung, dass sie einen Anspruch auf teilweiser Erwerbsminderung auf Dauer und einen befristeten Anspruch auf volle Erwerbsminderungsrente bis 31.12.2012 habe, zu den Akten gereicht. Dr. M. legte noch ein Tonaudiogramm vom 07.04.2008 vor.
Mit versorgungsärztlicher Stellungnahme von Dr. M. wurde eine Taubheit links, Schwerhörigkeit rechts mit einem Teil-GdB von 60, eine Augenmuskellähmung links mit einem Teil-GdB von 10, funktionelle Organbeschwerden, Kopfschmerz-Syndrom und Schwindel mit einem Teil-GdB von 30, eine Funktionsbehinderung Wirbelsäule, Wirbelsäulenverformung mit einem Teil-GdB von 20, eine Sprechstörung mit einem Teil-GdB von 10, ein hyperreagibles Bronchialsystem mit einem Teil-GdB von 10 und eine Funktionsbehinderung des linken Kniegelenkes, Funktionsstörung durch Zehenfehlform ebenfalls mit einem Teil-GdB von 10 und der Gesamt-GdB mit 80 bewertet. Die Lymphadenopathie bewirke keinen GdB von 10.
Daraufhin wurde mit Bescheid vom 13.12.2011 der Bescheid vom 29.05.2008 aufgehoben und der GdB seit 06.10.2011 mit 80 festgestellt. Das Merkzeichen RF bleibe festgestellt. Mit Bescheid vom 21.12.2011 wurde der Antrag auf Feststellung der gesundheitlichen Merkmale G und aG abgelehnt. Die Voraussetzungen seien nicht erfüllt.
Am 15.01.2012 legte die Klägerin schriftlich Widerspruch gegen die Ablehnung des Merkzeichens G sowie die Feststellung eines GdB von 80 ein. Es läge eine Gehörlosigkeit links, eine Schallempfindungsschwerhörigkeit rechts, eine Augenmuskellähmung links mit Kopfzwangshaltung, eine harte Kerntrübung der Linse rechts geringer als links, funktionelle Organbeschwerden, eine Mastoidminderbelüftung, Vertigo, eine Cephalgie , Funktionsbehinderungen der Wirbelsäule mit Wirbelsäulenverformung, eine Skoliose mit asymmetrischem Thorax, ein prominenter Rippenknorpel links, eine Brustwirbelsäulenskoliose, eine Halswirbelsäulenverformung, eine Diskusprotrusion LWK 5/SWK 1, ein tiefstehender Zwerchfellschenkel, eine auditive Stimmstörung, eine Lymphadenopathie , eine bronchiale Hyperreagibilität, eine Chondrose linke Patella, eine Fußskelettversteifung links mit Hypästhesie der Zehen 2 und 3, eine Kieferverformung und eine Bissverlagerung, eine Asymmetrie Facies, ein Untergewicht, eine außergewöhnliche Einschränkung der Bewegungsfähigkeit der unteren Extremitäten und ein Verdacht auf Myopathie vor. Der Zustand sei vergleichbar mit der Versteifung eines Hüftgelenks, des Knie- oder Fußgelenks in erschwerender Stellung. Sie erkläre eidesstattlich, alltäglich keine herkömmliche Gehstrecke von 2 Kilometern in zumindest 30 Minuten bewältigen zu können.
Der Beklagte holte noch eine Stellungnahme bei Dr. K., Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie, ein (einmalige Vorstellung der Klägerin am 05.10.2011 wegen chronischer Schmerzen bei multiplen Lokalisationen, es liege eine Betonung der lumbalen Rückenbeschwerden vor, bei der Untersuchung habe sich ein ausgesprochen schlanker Habitus gezeigt und eine leichte skoliotische Verkrümmung, bei derzeit relativ geringen Beschwerden).
Nach der versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. S., wonach die Funktionsbeeinträchtigungen großzügig bewertet seien und außer dem Merkzeichen RF keine Merkzeichen zustünden, wurde mit Widerspruchsbescheid vom 07.05.2012 der Widerspruch gegen den Bescheid vom 13.12.2011 und mit Widerspruchsbescheid vom 08.05.2012 der Widerspruch gegen den Bescheid vom 21.12.2011 zurückgewiesen. Die Zuerkennung des Merkzeichens G lasse sich nicht begründen. Die sich auf die Gehfähigkeit auswirkenden Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen und/oder der Lendenwirbelsäule bedingten für sich allein keinen GdB von wenigstens 50. Die Funktionsbeeinträchtigungen seien auch nicht mit einer Versteifung des Hüftgelenks, Versteifung des Knie- oder Fußgelenks in ungünstiger Stellung vergleichbar. Keine der an den Beinen und an der Lendenwirbelsäule festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen wirke sich auf die Gehfähigkeit in besonderem Maße aus.
Am 23.05.2012 hat die Klägerin beim Sozialgericht Mannheim (SG) wegen der Versagung des Merkzeichens G und Gewährung eines GdB von 100 die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes beantragt und ausgeführt, sie begehre hauptsächlich die Neufeststellung des Merkzeichens G und die Anhebung des Prozentsatzes, weil sie ansonsten keinen Ausgleich für Freifahrten im öffentlichen Verkehr oder den zusätzlichen Mehrbedarf nach dem SGB XII erhalten könne (Az.: S 3 SB 1668/12 ER). Auf den gerichtlichen Hinweis, dass noch keine Klage erhoben worden sei, hat sie am 12.06.2012 noch ausdrücklich Klage eingereicht (Az.: S 3 SB 2001/12). Die Klägerin hat einen vorläufigen Entlassbericht von Dr. B. von der Klinik für Neurologie des D. M. über einen stationären Aufenthalt vom 26.06.2012 bis 02.06.2012 vorgelegt (chronisches Schmerzsyndrom).
In einem Termin zur Erörterung des Sachverhalts beider Verfahren am 24.07.2012 hat die Klägerin, die zu dem Termin im Rollstuhl erschienen ist, erklärt, sie habe diesen schon vor Jahren privat erworben für den Fall, dass sie sich zu einer Operation entscheide. Sie benütze ihn allerdings relativ wenig außerhalb der Wohnung, weil er für den Gebrauch außerhalb nicht gut geeignet sei.
Mit Beschluss vom 09.08.2012 hat das SG den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Auch nach summarischer Prüfung der in den Akten vorliegenden und von der Klägerin vorgelegten medizinischen Befunde seien weder die Voraussetzungen für die Feststellung eines höheren GdB als 80 noch für die Feststellung des Merkzeichens G eindeutig erfüllt. Der Ausgang des Hauptsacheverfahrens müsse nach der gegebenen Sach- und Rechtslage viel mehr als offen beurteilt werden.
Zur weiteren Ermittlung des Sachverhalts hat das SG im Klageverfahren Dr. H., Facharzt für Chirurgie, schriftlich als sachverständigen Zeugen einvernommen. Dieser hat in seiner Stellungnahme vom 23.08.2012 ausgeführt, im Jahr 2011 hätten Schmerzen im rechten Ellenbogen nach einem Fahrradsturz bestanden, 2012 habe die Klägerin über Beschwerden im Bereich der Lendenwirbelsäule geklagt und im August 2012 seien zusätzlich Beschwerden in beiden Hüften angegeben worden. Schwerwiegende Behinderungen im Sinne von Bewegungs- und Funktionseinschränkungen bestünden nicht. Der GdB bezüglich der Wirbelsäule sei ausreichend bewertet. Die Klägerin sei in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr nicht erheblich beeinträchtigt.
Die Klägerin hat unter anderem eine Stellungnahme der Krankengymnastik-Praxis M., vorgelegt, wonach sie zwar auf keinen Rollstuhl angewiesen sei, jedoch auf Dauer vergleichbar zu dem Personenkreis der schwerstbehinderten Menschen gehöre, deren Bewegungsfähigkeit durch eine unmittelbare Beeinträchtigung des Stütz- oder Bewegungssystems so sehr eingeschränkt sei, dass sie die öffentlichen Verkehrsmittel nicht mehr benutzen könnten. Weiter hat sie ein Gutachten zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit gemäß dem Elften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) des MDK Baden-Württemberg vom 13.09.2012 vorgelegt, wonach derzeit nur Hilfebedarf im hauswirtschaftlichen Bereich und für Einkäufe bestehe. Die Klägerin hat ausgeführt, bei ihr liege ganzheitlich betrachtet die chronifizierte Schmerzerkrankung MPSS (Mainz Pain Staging System) III nach Gerbershagen vor.
Am 12.09.2012 hat die Klägerin beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) Beschwerde gegen den Beschluss des SG vom 09.08.2012 eingelegt (Az.: L 8 SB 3897/12 ER-B). Mit Beschluss vom 23.11.2012 hat das LSG den Beschluss des SG vom 09.08.2012 aufgehoben und den Beklagten verurteilt, bei der Klägerin das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits beim SG mit dem Az.: S 3 SB 2001/12 vorläufig festzustellen. Die Erfolgsaussichten der Klage in der Hauptsache seien derzeit offen. Es bestünden Anhaltspunkte für das Vorliegen der Voraussetzungen des Nachteilsausgleichs G. Die Klägerin höre auf einem Ohr gar nichts und sei auf dem anderen Ohr hörgemindert, es bestehe eine Nervenschwäche im Auge und sie behaupte eine Linsentrübung in einem Auge. Die Bescheinigung der Krankengymnastik-Praxis spreche ebenso wie das Gutachten des MDK für die Pflegeversicherung für Einschränkungen beim Gehen. Nach bisherigen Erkenntnissen beruhten die Schmerzen auf einem schweren chronifizierten Schmerz-Syndrom, also auf einer psychosomatischen Ursache. In der Rechtsprechung sei bisher nicht geklärt, ob auch psychosomatische Gründe die Zuerkennung des Merkzeichens G rechtfertigen könnten. Darüber hinaus seien von den behandelnden Ärzten Schwindel und Kopfschmerzen mitgeteilt worden und es bestünden Hinweise auf eine bronchiale Hyperreagibilität, ein allergisches Asthma bronchiale und ein Lungenemphysem. Schließlich habe die Klägerin, die Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums nach dem SGB XII beziehe und insofern kaum finanzielle Mittel zur Verfügung habe, zum Termin beim SG einen Rollstuhl mit sich geführt, den sie sich selbst beschafft habe. Gegen eine Beeinträchtigung der Gehfähigkeit spreche demgegenüber die sachverständige Zeugenaussage von Dr. H., der keine orthopädischen Leiden beschrieben habe. Da die Feststellung des Merkzeichens G zwingende Voraussetzung zur Geltendmachung eines Mehrbedarfs nach dem SGB XII sei, liefe die Ablehnung des Merkzeichens G auf die Verhinderung der Möglichkeit der Geltendmachung dieses Mehrbedarfs hinaus. Das SG hat Dr. S., Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie, mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragt. Dr. S. hat in seinem Gutachten nach ambulanter Untersuchung der Klägerin am 07.05.2013 eine Fehlstatik der Hals- und Rumpfwirbelsäule (Streckhaltung der Wirbelsäule; linkskonvexe skoliotische Fehlhaltung) mit muskulärer Reizung der Lendenwirbelsäule ohne radikuläre Reizerscheinungen oder auffällige degenerative Veränderungen, ein Schulter-Arm-Syndrom beidseits mit Funktionsschmerzen ohne wesentliche Funktionsbehinderung, Bewegungsschmerzen beider Hüften und radiologischen Ausschluss einer Hüftgelenkarthrose, eine Chondromalazie des linken Kniegelenkes (Knorpelerkrankung) ohne Funktionsbehinderung beider Kniegelenke, ein linkshinkendes Gangbild mit wechselnder Intensität und ein grenzwertiges Untergewicht diagnostiziert. Bei fehlenden neurologischen Ausfallerscheinungen und wesentlichen degenerativen Veränderungen der gesamten Wirbelsäule sei unter Berücksichtigung der Versorgungsmedizinischen Grundsätze von einem Wirbelsäulenschaden mit mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt, nämlich der Lendenwirbelsäule auszugehen. Ein Teil-GdB von 20 hierfür liege an der Obergrenze, da bei der Klägerin funktionelle Organbeschwerden mit Kopfschmerzsyndrom und Schwindel bereits mit einem Teil-GdB von 30 beurteilt worden seien. Diesbezüglich bestehe eine weitgehende Überlagerung. Sämtliche weiteren genannten Diagnosen bedingten keinen Teil-GdB von mindestens 10. Weder bestehe eine Funktionsbehinderung an den Kniegelenken noch eine Zehenfehlform. Unter Berücksichtigung der Funktionsbeeinträchtigungen auf nicht-orthopädischem Fachgebiet ergebe sich ein Gesamt-GdB von 80. Bei grenzwertiger Untergewichtigkeit und mangelnder Ertüchtigung der Muskulatur sei von einer Einschränkung der Gehfähigkeit auszugehen. Demnach erscheine es nicht zumutbar, dass die Klägerin regelmäßig Wegstrecken von 2 Kilometer in etwa 30 Minuten zurücklegen könne. Gleichzeitig sei auch die Gehörlosigkeit links und Schwerhörigkeit rechts zu berücksichtigen, die die Orientierungsfähigkeit im Straßenverkehr einschränken könne. Somit sei von hinreichenden gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens G auszugehen.
Die Klägerin hat noch einen Entlassungsbericht der H. B. über eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme seitens des Rentenversicherungsträgers vom 13.12.1993 bis 11.11.1994 vorgelegt (Diagnosen: Zustand nach frühkindlicher cerebraler Läsion mit Taubheit links, Musculus-rectus-Parese links, pseudoneurasthenische Affektlabilität).
Dr. G. hat in seiner versorgungsärztlichen Stellungnahme ausgeführt, das Gutachten von Dr. S. bestätige den Gesamt-GdB von 80. Die Einschätzungen zur Gehfähigkeit seien anhand der objektivierbaren Befunde nicht ausreichend nachvollziehbar. Eine relevante Funktionsbehinderung im Bereich der Kniegelenke oder Füße könne nicht bestätigt werden. Das Wirbelsäulensyndrom sei allenfalls mittelgradig und bedinge maximal einen GdB von 20. Die Schwindelbeschwerden und Gleichgewichtsstörungen, die sich auch auf das Gangbild auswirken könnten, begründeten nach bisheriger Befundlage maximal einen GdB von 30. Weder die grenzwertige Untergewichtigkeit noch mangelnde muskuläre Ertüchtigung (trainierbar) könnten die Zuerkennung des Merkzeichens G begründen. Auch die Hörminderung erfülle nach bisheriger Befundlage nicht die Voraussetzung für die Gewährung des Merkzeichens G.
Die Klägerin hat noch eine ärztliche Stellungnahme von Dr. M., Facharzt für Chirurgie, vom 17.06.2013 an die Stadt M. vorgelegt, wonach sie nicht auf Dauer auf einen Rollstuhl angewiesen, jedoch auf Dauer vergleichbar schwerst gehbehindert sei.
Das SG hat mit Gerichtsbescheid vom 09.08.2013 den Bescheid vom 21.12.2011 abgeändert und den Widerspruchsbescheid vom 08.10.2012 aufgehoben und festgestellt, dass bei der Klägerin die Voraussetzungen für das Merkzeichen G vorliegen. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Dr. S. habe ausgeführt, dass bei der Klägerin durchaus ein eingeschränktes Gangbild vorliege. Es bestehe eine grenzwertige Untergewichtigkeit sowie eine mangelnde muskuläre Ertüchtigung. Daher komme der Gutachter schließlich zum Ergebnis, dass die Klägerin aufgrund ihrer gesundheitlichen Situation in ihrem Gehvermögen erheblich eingeschränkt sei. Auch das MDK-Gutachten gelange zur gleichen Einschätzung. Das Gericht komme daher zum Ergebnis, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens G bei der Klägerin gegeben seien. Soweit die Klägerin mit ihrer Klage eine Erhöhung des zugestandenen GdB von 80 auf 100 begehre, sei die Klage unbegründet. Zu Recht habe der Beklagte nur einen GdB von 80 festgestellt.
Der Beklagte hat hiergegen am 22.08.2013 beim LSG Berufung eingelegt. Zur Begründung hat der Beklagte im Wesentlichen ausgeführt, es lägen keine Gesundheitsstörungen auf somatischem oder psychischem Gebiet vor, die eine erhebliche Gehbehinderung begründen würden. Auch bedinge nur eine Taubheit oder eine an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit in Kombination mit erheblichen Störungen der Ausgleichsfunktion das Merkzeichen G. Dies sei bei der Klägerin nicht der Fall. Die anerkannten Schwindelbeschwerden und Gleichgewichtsstörungen, die sich evtl. auf das Gangbild auswirken könnten, bedingten nach bisheriger Befundlage maximal einen GdB von 30. Die Funktionsbeeinträchtigungen an der Wirbelsäule seien mit einem Teil-GdB von 20 und die Funktionsbehinderung am linken Kniegelenk und an den Zehen mit einem Teil-GdB von 10 anerkannt. Ein GdB von 50 für die Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen und/oder der Lendenwirbelsäule werde damit nicht erreicht, zumal Dr. S. in seinem Gutachten eine relevante Funktionsbehinderung im Bereich der Kniegelenke und der Füße nicht habe bestätigen können. Selbst eine grenzwertige Untergewichtigkeit mit mangelnder muskulärer Ertüchtigung könne keinesfalls die Voraussetzungen des Merkzeichens G erfüllen. Hierbei sei zu berücksichtigen, dass es vielen Menschen mit erheblichem Untergewicht trotzdem möglich sei, ortsübliche Wegstrecken zurückzulegen. Außerdem sei von Dr. S. eine relevante Muskelumfangdifferenz an den unteren Gliedmaßen nicht gemessen worden.
Der Beklagte beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 9. August 2013 insoweit aufzuheben, als festgestellt wurde, dass die Voraussetzungen des Merkzeichens G vorliegen und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen, hilfsweise zu vertagen und ein Gesamtgutachten einzuholen, das den Zusammenhang der Erkrankungen im Hinblick auf die Voraussetzungen des Merkzeichens G berücksichtigt.
Zur Begründung hat die Klägerin ein weiteres Gutachten von Dr. S. vom 09.07.2013 aus einem Klageverfahren beim SG gegen die Deutsche Rentenversicherung Bund vorgelegt (Az.: S 14 R 3835/12), das in Anamnese und Befunderhebung dem Gutachten vom 14.05.2013 entspricht. Dr. S. hat in diesem Gutachten ausgeführt, die Erwerbsfähigkeit der Klägerin sei bereits dauerhaft gemindert. Dies ergebe sich aus den vielfältigen chronischen Schmerzen des gesamten Bewegungsapparates mit den daraus resultierenden Diagnosen, den glaubhaften Angaben zum Tagesablauf und schließlich aus dem Umstand, dass Wegstrecken von 4 x 500 m nicht mehr in angemessener Zeit (maximal 20 Minuten) zurückgelegt werden könnten.
Die frühere Berichterstatterin hat am 22.10.2013 mit den Beteiligten einen Termin zur Erörterung des Sachverhalts durchgeführt.
Zur weiteren Ermittlung des Sachverhalts hat der Senat Dr. S., Arzt für Anästhesiologie, schriftlich als sachverständigen Zeugen einvernommen. Dr. S. hat in seiner Stellungnahme vom 28.02.2014 an Diagnosen eine chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren, einen Kopfschmerz vom Spannungstyp und ein Lendenwirbelsäulen-Syndrom angegeben, die Klägerin sei ein chronischer Schmerzpatient (MPSS III). Die Kopfschmerzen seien aus seiner Sicht nicht für die Gehfähigkeit maßgebend, auch wenn die Klägerin intermittierenden Schwindel angebe. Seiner Einschätzung nach könne die Klägerin trotz der gegebenen vorliegenden Gesundheitsstörung ohne erhebliche Schwierigkeiten oder Gefahren für sich oder andere die üblichen Wegstrecken im Ortsverkehr zu Fuß zurücklegen.
Die Klägerin hat eine Brillengläserverordnung vom 02.06.2014 und einen Arztbrief von Dr. S. vom St. M.- und St. A. L. am Rhein vom 14.04.2014 (chronisches Schmerzsyndrom, chronische, nicht radikuläre Lumbalgie beidseits bei ausgeprägter fear-avoidance - kognitive Überzeugung des Zusammenhanges von Belastung und Rückenschmerzen verursacht anhaltendes Bewegungsvermeidungsverhalten - mit Fehlhaltung und Fehlbelastung des gesamten Bewegungsapparates, muskuläre Dysbalance bei deutlichem Untergewicht und Nikotinabusus, craniomandibuläre Dysfunktion bei Zustand nach Kiefer-Operation, somatoforme Schmerzstörung, Asthma bronchiale, Hypermenorrhoe , Schwerhörigkeit rechts, Gehörlosigkeit links, Augenmuskellähmung links), vorgelegt.
Das Gericht hat Dr. S., Facharzt für Innere Medizin, Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie, mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragt. Dem Sachverständigen hat die Klägerin berichtet, dass sie keinerlei Behandlungen durchführe, sich nur einmal im Quartal beim Schmerztherapeuten vorstelle. Er gab an, sie befinde sich in reduziertem körperlichen Allgemeinzustand, es bestehe ein schmächtiger Habitus. Dr. S. diagnostizierte nach ambulanter Untersuchung der Klägerin am 10.07.2014 auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet eine paranoide Persönlichkeitsstörung, ein Abhängigkeitssyndrom von Cannabinoiden und eine funktionelle Dysphonie . Signifikante neurologische Auffälligkeiten hätten in der Gutachtenssituation bis auf die Abducens-Parese links nicht objektiviert werden können. Insbesondere hätten sich keine Hinweise für Paresen an den Extremitäten ergeben. Eine Myopathie sei nicht gesichert. Innere Leiden, die sich auf die Gehfähigkeit negativ auswirkten, ein epileptisches Anfallsleiden oder Störungen der Orientierungsfähigkeit lägen ebenfalls nicht vor. Aus neurologisch-psychiatrischer Sicht sei die Klägerin in der Lage, ohne erhebliche Schwierigkeiten oder ohne Gefahren für sich oder andere, die üblichen Wegstrecken im Ortsverkehr zu Fuß zurückzulegen. Er sehe keine Summationseffekte, nach denen die Voraussetzungen zur Anerkennung des Merkzeichens G erfüllt seien. Die Einschätzung von Dr. S. teile er nicht.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakte sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie die Gerichtsakten der Verfahren L 8 SB 3897/12 ER-B und S 3 SB 1668/12 ER verwiesen.
Die nach den §§ 143 und 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und nach § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Beklagten, ist zulässig und begründet. Der Bescheid vom 21.12.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.10.2012 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, soweit die Feststellung des Merkzeichens G abgelehnt worden ist. Sie erfüllt nicht die gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens G. Das SG hat daher zu Unrecht die Voraussetzungen des Merkzeichens G festgestellt.
Die Klägerin hat fristgerecht beim SG Klage erhoben. Die Auslegung des am 23.05.2012 beim SG eingegangenen Schreibens der Klägerin ergibt, über den ausdrücklich genannten Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes hinaus, auch die Erhebung einer Klage gegen den Widerspruchsbescheid vom 08.05.2012 mit dem Ziel der Feststellung des Merkzeichens G. Die Klägerin hat zunächst den Widerspruchsbescheid vom 08.05.2012 gefaxt und im dann folgenden Schriftsatz zum Ausdruck gebracht, dass sie die Feststellung des Merkzeichens G begehrt. Zur Begründung hat sie ausgeführt, ihr Begehren ziele hauptsächlich auf Neufeststellung des Merkzeichens G, weil sie ansonsten keinen Ausgleich für Freifahrten im öffentlichen Verkehr oder den zusätzlichen Mehrbedarf nach § 30 Abs. 1 SGB XII erhalten könne, ohne dass sie Ausführungen zu einer nur vorläufigen Regelung gemacht hat. Die Auslegung des Schreibens der anwaltlich nicht vertretenen Klägerin ergibt daher, dass sie nicht nur eine vorläufige Regelung bezüglich des Merkzeichens G begehrt hat, sondern sich grundsätzlich gegen die Ablehnung der Feststellung des Merkzeichens G im Widerspruchsbescheid vom 08.05.2012 wendet und dessen Feststellung begehrt. Ohne Relevanz ist daher, dass die Klägerin auf den gerichtlichen Hinweis, dass bisher keine Klage eingegangen ist, am 12.06.2012 und damit nach Ablauf der Klagefrist des § 87 SGG, noch ein Schreiben eingereicht hat, in dem sie ausdrücklich Klage erhoben hat.
Unter welchen gesetzlichen Voraussetzungen ein Anspruch auf Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen G besteht, ist in § 69 Abs. 5 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) geregelt, wonach auf Antrag des behinderten Menschen die zuständigen Behörden auf Grund einer Feststellung der Behinderung einen Ausweis über die gesundheitlichen Merkmale ausstellen. Zu diesen Merkmalen gehört auch das Merkzeichen G. Schwerbehinderte Menschen, die infolge ihrer Behinderung in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt oder hilflos oder gehörlos sind, werden von Unternehmern, die öffentlichen Personenverkehr betreiben, gegen Vorzeigen eines entsprechend gekennzeichneten Ausweises nach § 69 Abs. 5 SGB IX im Nahverkehr im Sinne des § 147 Abs. 1 SGB IX unentgeltlich befördert (§ 145 Abs. 1 SGB IX). In seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt ist, wer infolge einer Einschränkung des Gehvermögens (auch durch innere Leiden oder infolge von Anfällen oder von Störungen der Orientierungsfähigkeit) nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten oder nicht ohne Gefahren für sich oder andere Wegstrecken im Ortsverkehr zurückzulegen vermag, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden (§ 146 Abs. 1 Satz 1 SGB IX).
Der Anlage „Versorgungsmedizinische Grundsätze“ (VG) zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG vom 10. Dezember 2008 - BGBl. I. S. 2412 (VersMedV), die seit dem 01.01.2009 an die Stelle der bis zum 31.12.2008 im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung als antizipierte Sachverständigengutachten angewandten Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX) 2008“ (AHP) getretenen ist, lassen sich im Ergebnis keine weiteren Beurteilungskriterien für die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen des begehrten Merkzeichens G entnehmen. Denn die VG sind hinsichtlich der getroffenen Regelungen für die nach dem Schwerbehindertenrecht zu beurteilenden Nachteilsausgleiche G, „Gl, „Berechtigung für eine ständige Begleitung“ (B), aG und „Blindheit“ (Bl) unwirksam, da es insoweit an einer gesetzlichen Verordnungsermächtigung fehlt. Eine solche Ermächtigung findet sich nämlich - mit Ausnahme des Merkzeichens „Hilflosigkeit“ (H) - weder in § 30 Abs. 17 BVG in der Fassung bis zum 30.06.2011 beziehungsweise § 30 Abs. 16 BVG in der Fassung ab dem 01.07.2011 noch in sonstigen Regelungen des BVG oder des SGB IX (ständige Rechtsprechung des Senats, so Urteil des Senats vom 27.02.2014 - L 6 SB 3272/13 -; Urteile des LSG Baden-Württemberg vom 09.05.2011 - L 8 SB 2294/10 - und vom 24.09.2010 - S 8 SB 308/09 -; Dau, jurisPR-SozR 4/2009, Anm. 4).
Der Senat stellt daher bezüglich des Merkzeichens G auf die von der Rechtsprechung für die Feststellung des Merkzeichens entwickelten Kriterien ab. Danach sind als üblicherweise noch zu Fuß zurückzulegende Wegstrecken im Ortsverkehr im Sinne des § 146 Abs. 1 Satz 1 SGB IX, ohne Berücksichtigung von geographischen Besonderheiten im Einzelfall, Wegstrecken von bis zu 2 Kilometern mit einer Gehdauer von etwa 30 Minuten anzusehen (BSG, Urteil vom 10.12.1987 - 9a RVs 11/87 - juris; BSG, Urteil vom 13.08.1997 - 9 RVS 1/96 - juris).
Unter Berücksichtigung dieser Kriterien ist der Senat nicht davon überzeugt, dass die Klägerin an einer das Merkzeichen G rechtfertigenden Einschränkung der Gehfähigkeit leidet. Die bei der Klägerin objektiv nachgewiesenen Beeinträchtigungen der Gehfähigkeit erreichen noch nicht ein solches Maß, dass sie wegen der bei der Prüfung des Merkzeichens G zu berücksichtigenden Gesundheitsstörungen nicht mehr in der Lage wäre, ohne erhebliche Schwierigkeiten oder ohne Gefahren für sich oder andere eine Wegstrecke von etwa 2 Kilometern in einer Zeit von etwa 30 Minuten zu Fuß zurücklegen. Die Einschätzung des Gutachters Dr. S. vermag den Senat nicht zu überzeugen. Vielmehr folgt der Senat der gegenteiligen Beurteilung des Gutachters Dr. S.
Nach dem Gutachten von Dr. S. liegen bei der Klägerin an für die Gehfähigkeit relevanten orthopädischen Beeinträchtigungen eine Streckhaltung sowie leichte skoliotische Fehlhaltung der Wirbelsäule mit einem muskulär bedingten Schmerz der mittleren unteren Lendenwirbelsäule vor. Für diese Beeinträchtigung kann bei fehlenden neurologischen Ausfallerscheinungen und ohne wesentliche degenerative Veränderungen nach den überzeugenden Ausführungen von Dr. S. allenfalls ein Wirbelsäulenschaden mit mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt, nämlich der Lendenwirbelsäule, anerkannt werden, für den maximal ein Teil-GdB von 20 angesetzt werden kann, nachdem eine weitgehende Überlagerung mit dem Teil-GdB von 30 für funktionelle Organbeschwerden mit Kopfschmerzsyndrom und Schwindel besteht. Die Klägerin gab noch Bewegungsschmerzen beider Hüften an. Radiologisch konnte jedoch eine Hüftgelenksarthrose ausgeschlossen werden und es lagen bei der Untersuchung durch Dr. S. weite Bewegungsausmaße der Hüften vor. Die weiteren Diagnosen auf dem orthopädischen Fachgebiet bedingen, wie sich nachdrücklich aus dem Gutachten von Dr. S. ergibt, nicht einmal einen Teil-GdB von mindestens 10. So zeigten sich keine Funktionsbeeinträchtigungen der Knie. In Stehen waren die Knieachsen in regelrechter Ausrichtung. Es war kein tastbarer Erguss oder eine synovitische Reizung eruierbar , das Patellaspiel war frei. Bei sämtlichen Funktionstests der Kniegelenke wurden keine Schmerzen angegeben, auch die Meniskuszeichen waren allgemein negativ und der Bandhals stabil. Radiologisch zeigten sich Zeichen einer beginnenden Chondromalazie medial. Auch lag keine relevante Zehenfehlform vor, sondern es ist nur der Großzehennagel links verschmälert nach Emmert-Plastik . Eine auffällige Zehendeformität mit Funktionsbeeinträchtigungen besteht damit nicht. Beidseits liegt ein Spreizfuß vor, ohne dass sich hieraus Funktionsbeeinträchtigungen ergeben. Weiter zeigte sich ein Schulter-Arm-Syndrom beidseits mit Funktionsschmerzen ohne wesentliche Funktionsbehinderung und ohne Auswirkungen auf die Gehfähigkeit.
Aus diesen Befunden folgt, dass aufgrund der orthopädischen Beeinträchtigungen und dem Ausmaß der hieraus resultierenden Funktionsbeeinträchtigungen keine das Merkzeichen G rechtfertigende Beeinträchtigung der Gehfähigkeit vorliegt. Vielmehr ist nach den objektiven orthopädischen Befunden die Bewegungsfähigkeit nur in recht geringem Maße beeinträchtigt.
Auch liegen keine neurologischen Befunde vor, die die Gehfähigkeit in relevantem Umfang beeinträchtigen könnten. Gefühlsstörungen sind während der Untersuchung durch Dr. S. an den unteren Gliedmaßen nicht angegeben worden und es haben sich weder an den oberen noch den unteren Gliedmaßen radikuläre Reizerscheinungen gezeigt. Auch bei der Untersuchung durch Dr. S. zeigte sich an neurologischen Beeinträchtigungen nur die Abducens-Parese (Augenmuskellähmung) links. Andere neurologische Auffälligkeiten konnten nicht objektiviert werden, insbesondere keine Paresen an den Extremitäten. Soweit die Klägerin angibt, bei ihr liege eine Myopathie vor, hat Dr. S. zu Recht darauf hingewiesen, dass das Vorliegen einer Myopathie nicht gesichert ist, sondern im Entlassungsbericht der Neurologischen Klinik des D.-Krankenhauses M. vom 07.09.2011 nur ausgeführt worden ist, dass elektrophysiologisch es Anhaltspunkte für eine leichte Myopathie gegeben hat, für die allerdings die entsprechende Klinik fehlt. Daher ist auch in diesem Bericht diagnostisch eine chronische Schmerzerkrankung, nicht jedoch eine Myopathie angegeben worden. Trotz fehlender Klinik und normalen Muskelenzymen ist nur zum Ausschluss einer Myopathie eine Muskelbiopsie aus dem Musculus deltoideus oder Musculus quadriceps empfohlen worden, die bisher nicht durchgeführt wurde. Dr. S. weist darauf hin, dass auch bei der Untersuchung durch ihn der klinische Untersuchungsbefund nicht mit einer Myopathie zweifelsfrei vereinbar gewesen ist. Daraus folgt, dass keine neurologischen Befunde nachgewiesen sind, aus denen sich Einschränkungen der Gehfähigkeit ergeben.
Eine für das Merkzeichen G relevante Beeinträchtigung der Gehfähigkeit ergibt sich auch nicht aus der Überzeugung der Klägerin, nur wenige hundert Meter gehen zu können und dem daraus resultierenden Vermeidungsverhalten bezüglich längerer Gehstrecken. Denn dies hat seine Ursache in der bei der Klägerin vorliegenden Persönlichkeitsstörung. Dabei ist dem Umstand Rechnung zu tragen, dass das menschliche Gehvermögen keine statische Messgröße ist, sondern von verschiedenen Faktoren geprägt und variiert wird. Darunter sind neben den anatomischen Gegebenheiten des Körpers, also Körperbau und etwaige Behinderungen, vor allem der Trainingszustand, die Tagesform, Witterungseinflüsse, die Art des Gehens (ökonomische Beanspruchung der Muskulatur, Gehtempo und Rhythmus) sowie Persönlichkeitsmerkmale, vor allem die Motivation, zu nennen. Von diesen Faktoren sind all jene heraus zu filtern, die nach § 146 Abs. 1 Satz 1 SGB IX außer Betracht zu bleiben haben, weil sie die Bewegungsfähigkeit des schwerbehinderten Menschen im Straßenverkehr nicht infolge einer behinderungsbedingten Einschränkung seines Gehvermögens, sondern möglicherweise aus anderen Gründen erheblich beeinträchtigen (Beschluss des Senats vom 12.10.2011 - L 6 SB 3032/11 - www.s.de, unter Hinweis auf BSG, Urteil vom 24.04.2008 - B 9/9a SB 7/06 R - juris). Psychisch erkrankte Personen, deren Leiden nicht mit „Anfällen“ gleichzusetzen sind und nicht zu Störungen der Orientierungsfähigkeit führen, sondern nur z.B. mit Verstimmungen, Antriebsminderung und Angstzuständen einhergehen, sind daher in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr nicht erheblich beeinträchtigt (BSG, Beschluss vom 10.05.1994 - 9 BVs 45/03 - juris). Solche psychischen Störungen sind nicht mit den in § 146 Abs. 1 Satz 1 SGB IX genannten Behinderungen vergleichbar.
Soweit die bei der Klägerin vorliegende Persönlichkeitsstörung sie nur subjektiv in ihrem Gehvermögen einschränkt, ist ihre Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr damit nicht infolge einer behinderungsbedingten Einschränkung ihres Gehvermögens, sondern aus anderen - nicht zu berücksichtigenden - Gründen beeinträchtigt. Denn die organisch bedingte Fähigkeit, Wege in dem geforderten Umfang zurückzulegen, ist hierdurch nicht eingeschränkt. Ein Vergleich mit den in § 146 Abs. 1 Satz 1 SGB IX genannten Anfällen oder Störungen der Orientierungsfähigkeit ist nicht möglich, da mit diesen Anfällen und Störungen nur hirnorganische Anfälle, insbesondere epileptische Anfälle, aber auch hypoglykämische Schocks bei Zuckerkrankheit gemeint sind, also solche Anfälle, die mit Bewusstseinsverlust und Sturzgefahr verbunden sind und damit unabhängig vom Bewusstsein sind (vgl. Beschluss des Senats vom 12.10.2011, a.a.O.; BSG, Beschluss vom 10.05.1994 - a.a.O.). Solche Funktionsbeeinträchtigungen bestehen bei der Klägerin vorliegend jedoch nicht. Soweit teilweise ärztlicherseits vorgetragen wurde, dass die Klägerin an Schwindel und Sturzneigung leidet, so ergibt sich dies nur aus ihren subjektiven, nicht objektivierten Angaben. Dagegen spricht, dass keiner der behandelnden Ärzte aus eigener Anschauung berichtet hat, dass die Klägerin jemals tatsächlich gestürzt ist. Auch liegen keinerlei Berichte darüber vor, dass es durch solche Stürze zu Verletzungen gekommen ist oder sich die Klägerin deswegen gar in Behandlung begeben musste. Vielmehr sind nur von Dr. H. Schmerzen im rechten Ellenbogen nach einem Fahrradsturz im Jahr 2011 angegeben worden, wobei das Fahrradfahren an sich schon dagegen spricht, dass nennenswerter Schwindel besteht. Auch führt die Klägerin keinerlei richtungsweisende Behandlung wegen Schwindel durch. Damit ist nicht nachgewiesen, dass die Klägerin unter Schwindel, der zu unvorhergesehenen Stürzen führt, leidet.
Ebenso ist keine Störung der Orientierungsfähigkeit aufgrund der Taubheit links und der Schwerhörigkeit rechts gegeben. Die Klägerin hat selbst bei Dr. S. angegeben, kleine Besorgungen zu Fuß durchzuführen. Für größere Einkäufe nimmt sie für die Fahrtstrecke ein Taxi, besorgt diese im Übrigen jedoch auch selbst. Weder aus dem Gutachten von Dr. S. noch aus dem Gutachten von Dr. S. wie auch nicht aus den Niederschriften über den Erörterungstermin am SG am 24.07.2012 sowie den Erörterungstermin am LSG am 22.10.2013 ergibt sich, dass das Hörvermögen der Klägerin für eine normale Kommunikation nicht ausreichend ist. Damit liegen keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür vor, dass aufgrund des eingeschränkten Hörvermögens eine relevante Störung der Orientierungsfähigkeit bei der Klägerin vorliegt. Dies ergibt sich auch nicht im Zusammenwirken mit der Abducens-Parese . Diese schränkt den Seitenblick nach links etwas ein, indem Doppelbilder beim Blick nach links entstehen. Aus dieser Einschränkung des Blickfeldes folgt jedoch keine Einschränkung der Orientierungsfähigkeit, was der Senat dem Umstand entnimmt, dass sich die Klägerin auch in ihr nicht vertrauter Umgebung wie den Gerichten oder bei Einkäufen zu orientieren vermag.
Zur Überzeugung des Senats liegen die Voraussetzungen für das Merkzeichen G auch nicht aufgrund einer sich auf die Gehfähigkeit auswirkenden (somatoformen) Schmerzstörung vor. Denn es lässt sich vorliegend nicht positiv feststellen, dass der Klägerin bei zumutbarer Anstrengung eine Gehstrecke von etwa 2 Kilometern in etwa 30 Minuten aufgrund Schmerzen nicht möglich ist. So hat Dr. S. in seinem Gutachten keine somatoforme Schmerzstörung, sondern eine paranoide Persönlichkeitsstörung diagnostiziert und hierzu ausgeführt, dass die Bezeichnung des seelischen Leidens mit „Funktionellen Organbeschwerden, Kopfschmerzsyndrom, Schwindel“ nicht angemessen ist, weil es sich um unspezifische Beschwerden bzw. Leiden handelt, im Vordergrund auf psychiatrischem Gebiet jedoch die Persönlichkeitsstörung steht, wie sie auch bereits von Dr. K. im Rentenverfahren diagnostiziert worden ist. Eine Schmerzstörung ist von ihm daher ausdrücklich nicht diagnostiziert worden. Zum anderen haben sich sowohl bei der Begutachtung durch Dr. S. wie auch bei der Begutachtung durch Dr. S. deutliche Hinweise auf Aggravation ergeben. Den Schmerzangaben der Klägerin sowie dem von ihr geschilderten und demonstrierten Gehverhalten sowie ihrer Selbsteinschätzung kommt daher nur ein geringer Beweiswert zu. Darüber hinaus kommt es für die Beurteilung der der Klägerin zumutbar zu bewältigenden Gehstrecke nicht maßgeblich auf die mit dem Gehen verbundenen Schmerzen, sondern allein darauf an, ob die Gehstrecke von 2 Kilometern durch sie zu Fuß in etwa 30 Minuten - auch mit Schmerzen - zu bewältigen ist (vgl. Urteil des Senats vom 13.12.2012 - L 6 SB 4838/10 -, juris).
Dass sich die Klägerin im Rahmen der gutachterlichen Untersuchungen eindeutig final und bewusst aggravierend verhalten hat, ergibt sich eindrücklich aus den Schilderungen der Gutachter wie auch aus einem Vergleich mit sonstigen Angaben von behandelnden Ärzten. So betrat die Klägerin bei der Begutachtung durch Dr. S. das Untersuchungszimmer in Konfektionsschuhwerk mir diskreten Abnutzungserscheinungen ohne irgendwelche Hilfsmittel wie Gehstützen, Rollator oder Bandagen. Nachdem ihr Gangbild auf dem Praxisflur nur andeutungsweise links hinkend war, war es nach Aufruf dann sehr stark links hinkend und sie ging zusätzlich vornüber gebeugt. Dabei wirkte im Rahmen der direkten Untersuchung das Gangbild zeitweise durch starkes Einknicken des linken Kniegelenkes und Verlagerung des Körperschwerpunkts nach links, ohne dass hierfür anhand der erhobenen Befunde eine organische Ursache vorliegt, nach Angabe von Dr. S. sogar grotesk. Bei der Untersuchung demonstrierte sie sodann das Freistehen sehr unsicher, drohte immer wieder nach hinten zu fallen, manchmal auch zur Seite. Sie stützte sich wechselweise an der Stuhlkante oder am Tisch ab. Im Stehen erreichte die Klägerin mit Mühe einen Finger-Boden-Abstand von 35 cm. Erschwert war diese Bewegungsprüfung durch wechselseitiges Abstützen, mal mit der rechten, mal mit der linken Hand an der Stuhllehne bzw. Untersuchungsliege. Der Zehenspitzenstand war kurzzeitig beidseits möglich, der Hackengang wurde verweigert mit Hinweis auf zu starke Schmerzen. Das Einnehmen der tiefen Hocke wurde in eine kniende Position abgewandelt, was aber recht rasch erfolgte. Auch zum Aufstehen aus dieser Position gelangte sie ohne fremde Hilfe recht zügig. Der Faustschluss rechts erfolgte unter Zuhilfenahme der linken Hand mit passiver Beugung. Beim Wiederöffnen wurden die Finger einzeln mit der linken Hand geöffnet. Bei Wiederholung des Untersuchungsganges, vermeintlich unbeobachtet, war hingegen der Faustschluss selbständig möglich. Auch Dr. S. sah bei der neurologischen Untersuchung die Kooperation seitens der Klägerin insgesamt als eingeschränkt an. So gab die Klägerin bei ihm an, sie könne sich bei Prüfung des Finger-Boden-Abstandes überhaupt nicht vornüber beugen, obwohl sie im Sitzen die Wirbelsäule sehr gut bewegen konnte. Das Gangbild war wechselnd, eher leicht links hinkend. Die Klägerin hielt sich an Einrichtungsgegenständen im Untersuchungsraum fest. Der Einbeinstand war beidseits deutlich unsicher. Bei der Prüfung der Koordination lag ein Schwanken im Romberg-Versuch vor, zum Unterberger-Tretversuch gab die Klägerin an, er sei ihr nicht möglich. Der Knie-Hacke-Versuch war beidseits leicht dysmetrisch , der Seiltänzergang ungerichtet unsicher. Nach dem Befundbericht des Dr. S. vom 24.04.2014 war bei der ambulanten Untersuchung der Klägerin am 24.02.2014 hingegen der Zehen-, Hacken- und Einbeinstand beidseits möglich. Dafür betrug der Finger-Boden-Abstand 80 cm und es wurde angegeben, Flexion und Extension der Wirbelsäule seien wegen der muskulären Anspannung kaum möglich gewesen, obwohl bei Dr. S. der Finger-Boden-Abstand nur 35 cm betragen und Dr. S. eine sehr gute Beweglichkeit der Wirbelsäule im Sitzen angegeben hatte. Dr. S. beschrieb als Gangbild einen „Robotergang“ mit gleichzeitiger Anspannung von Flexoren und Extensoren, was dem bei den Gutachtern gezeigten Gangbild widerspricht. In dem MDK-Gutachten vom 13.09.2012 wurde zum Gangbild hingegen angegeben, sie gehe etwas breitbeinig. Sie könne frei stehen, aus der Sitzposition reiche sie bis zu den Füßen. Diese in vielen Bereichen unplausiblen und teilweise gravierend differierenden Befunde sind nicht erklärbar und daher ein Hinweis darauf, dass die erhobenen Befunde aufgrund Aggravation insgesamt nicht einer Bewertung der Gehfähigkeit zugrunde gelegt werden können.
Hinzu kommt, dass die Klägerin gegenüber Dr. S. angab, für kleinere Besorgungen wie Tabak kaufen, die Bank bzw. Bäckerei aufsuchen, laufe sie auch zu Fuß zwischen 200 und 400 m. Bei den Begutachtungen demonstrierten Gangbildern bzw. dem demonstrierten massiv eingeschränktem Stehvermögen, wäre jedoch auch keine Gehfähigkeit für diese Distanzen und Besorgungen vorstellbar, insbesondere ohne Zuhilfenahme von Gehhilfen. Ebenso wäre damit nicht vorstellbar, dass die Klägerin - wie bei Dr. S. angegeben - sich alleine um ihren Haushalt einschließlich eines Gartenanteils kümmert. Die Klägerin sucht auch regelmäßig ihren behandelnden Schmerztherapeuten Dr. S. auf und macht sämtliche Einkäufe selbst. Unabhängig davon, dass sie angibt, für die Fahrten ein Taxi zu nehmen, kann die Klägerin es nicht vermeiden, für die Einkäufe sowie die Arztbesuche auch gewisse Strecken zu gehen bzw. zeitweise zu stehen. Hinzu kommt, dass sich aus der Angabe von Dr. H., die Klägerin habe im Jahr 2011 Schmerzen im rechten Ellenbogen nach einem Fahrradsturz gehabt, ergibt, dass sie im Jahr 2011 auch Fahrrad gefahren ist. Dafür, dass das bei den Begutachtungen demonstrierte Gehverhalten aufgrund deutlicher Aggravation nicht der Bewertung der Gehfähigkeit zugrunde gelegt werden kann spricht auch, dass die behandelnden Ärzte der Klägerin Dr. S. und Dr. H. übereinstimmend die Auffassung vertreten, dass die Klägerin in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr nicht erheblich beeinträchtigt ist. Dahingestellt bleiben kann daher, ob eine somatoforme Schmerzstörung als Einschränkung des Gehvermögens im Sinne des § 146 Abs. 1 Satz 1 SGB IX anzuerkennen ist (so LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 16.10.2013 - L 10 SB 154/12 - juris; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 20.02.2014 - L 13 SB 19/13 - juris, für eine somatoforme Schmerzstörung im Sinne einer Fibromyalgie). Auch unter Berücksichtigung des bei der Klägerin vorliegenden Untergewichts sind nach Ansicht des Senats die Voraussetzungen des Merkzeichens G nicht erfüllt. Denn nach dem Entlassungsbericht über die Rehabilitationsmaßnahme vom 13.12.1993 bis 11.01.1994 wog die Klägerin bereits damals nur 44 kg, ohne dass Einschränkungen der Gehfähigkeit angegeben wurden, die Klägerin vielmehr auch an Bewegungstherapie teilgenommen hat. Auch bei der Begutachtung durch Dr. K. am 05.02.2004 wog die Klägerin nur 43 kg bei unauffälligem flüssigem Gangbild und gut durchführbarem Zehen- und Hackenstand. Aus dem Gewicht von 46 kg bei Dr. S. bzw. 44 kg bei Dr. S. bei einer Körpergröße von 160 cm kann daher nicht allein geschlossen werden, dass das Gehvermögen der Klägerin aufgrund Untergewichtigkeit derart eingeschränkt ist, dass sie nicht mehr etwa 2 Kilometer innerhalb von 30 Minuten zu Gehen in der Lage ist. Dies folgt zur Überzeugung des Senats auch nicht aus der mit dem schmächtigen Habitus und der mangelnden Bewegung verbundenen schwach ausgebildeten Muskulatur der Klägerin. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Dr. Sch. keine relevante Muskelumfangsdifferenz an den unteren Gliedmaßen messen konnte und auch eine seitengleiche schwache Beschwielung der Fußsohlen vorgelegen hat. Angegeben wurde vielmehr von Dr. S., dass die paravertebrale Muskulatur verschmächtigt ist, sowie, dass die schulterführende Muskulatur insgesamt schmächtig ausgebildet ist, jedoch ohne Atrophiezeichen oder Muskelbauchverlagerungen. Auch von Dr. S. wurde angegeben, dass eine muskuläre Insuffizienz bei hypotrophischer Stützmuskulatur der Wirbelsäule vorliegt. Damit beziehen sich die konkreten Angaben zu schwach ausgebildeter Muskulatur auf die Wirbelsäule und die Schultern, nicht aber explizit auf die für die Gehfähigkeit relevanteren unteren Gliedmaßen. Dass eine Muskelatrophie vorliegt, die die Gehfähigkeit derart beeinträchtigt, dass der Klägerin Gehstrecken von 2 Kilometern in etwa 30 Minuten bei zumutbarer Anstrengung nicht mehr möglich sind, ist damit ebenfalls nicht nachgewiesen.
Auch liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Klägerin aufgrund eines allergischen Asthma bronchiale bzw. einem hyperreagiblem Bronchialsystems in ihrer Gehfähigkeit relevant eingeschränkt ist. Aus dem Befundbericht von Dr. P. vom 27.04.2011 ergibt sich bereits nur der Verdacht auf diese Erkrankungen, ohne dass von sonstigen behandelnden Ärzten bzw. der Klägerin diese Gesundheitsbeeinträchtigungen und hieraus folgende Einschränkungen auf die Gehfähigkeit geschildert worden sind. Vielmehr konsumiert die Klägerin weiterhin Nikotin und Cannabis.
Die beantragte Einholung eines Gesamtgutachtens von Amts wegen, das den Zusammenhang der Erkrankungen im Hinblick auf die Voraussetzungen des Merkzeichens G berücksichtigt, war nicht geboten. Der Senat erachtet den vorliegenden Sachverhalt für ausreichend aufgeklärt. Es liegt bereits ein orthopädisches wie auch ein neurologisch-psychiatrisches und internistisches Gutachten vor. Die Verpflichtung zur Einholung eines sogenannten Obergutachtens besteht auch bei einander widersprechenden Gutachtensergebnissen im Allgemeinen nicht. Einen allgemeinen Anspruch auf Überprüfung von Sachverständigengutachten durch ein "Obergutachten" sehen die Prozessordnungen - auch das SGG - nicht vor (LSG Baden-Württemberg, Urteil 19.04.2013 - L 4 R 401/11- juris). Vielmehr hat sich das Gericht im Rahmen der Beweiswürdigung mit den einander entgegenstehenden Ergebnissen auseinanderzusetzen. Liegen bereits mehrere Gutachten (oder fachkundige Angaben) vor, ist das Tatsachengericht nur dann zu weiteren Beweiserhebungen verpflichtet, wenn die vorhandenen Gutachten (oder fachkundigen Angaben) grobe Mängel oder unlösbare Widersprüche enthalten oder von unzutreffenden sachlichen Voraussetzungen ausgehen oder Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde des Gutachters geben (BSG, Beschluss vom 01.04.2014 - B 9 V 54/13 B - juris). Dies ist vorliegend jedoch nicht der Fall.
Nach alledem war der Berufung des Beklagten stattzugeben und der Gerichtsbescheid aufzuheben, soweit festgestellt worden ist, dass die Voraussetzungen des Merkzeichens G vorliegen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, da kein Grund des § 160 Abs. 2 SGG vorliegt.